Entstehung und Hintergründe

2.1 Entstehung der Tanztherapie

Die Wurzeln der Tanztherapie reichen an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück und spiegeln den Zeitgeist des Expressionismus. wider Tanztherapie geht auf die deutsche Ausdrucktanz- und Gymnastikbewegung zurück Natürlichkeit als damals neu entdeckte Verbindung von Atmung und eigenem Bewegungsfluss begründeten damals ein schöpferisches Lebensgefühl, das allerdings jäh durch den aufkeimenden Nationalsozialismus ausgelöscht wurde. So kam es, dass die Tanztherapie sich erst einmal in anderen Ländern entwickelte. Rudolf von Laban, Ausdruckstänzer und Begründer der Bewegungsanalyse, verließ Deutschland und ging nach England. Aber auch Trudi Shoop, eine Ausdruckstänzerin, die in der Schweiz lebte und arbeitete oder Elaine Siegel, damals in Berlin ansässig und Lilian Espenak, ihre Lehrerin, ursprünglich aus Norwegen, emigrierten in die USA. Im angelsächsischen Sprachraum entwickelten Rudolf von Laban und Lisa Ullmann die Bewegungsanalyse und Bewegungsnotation systematisch weiter. In den USA war es dann Trudi Schoop, die in der 40er Jahren des letzten Jahrhunderts mit psychiatrischen PatientInnen anfing zu tanzen. Ihre Haupterfahrungen machte sie mit psychotischen Menschen in stationären Settings, und ihr Buch „… komm, tanz mit mir“ ging als Basisbuch der frühen Tanztherapie in deren Geschichte ein. Gleichzeitig begannen Marian Chace und andere Pionierinnen in den USA eine weitere Wurzel der heutigen Tanztherapie zu entwickeln, nämlich die kreative Kommunikation durch Bewegung. Durch das Aufblühen der Humanistischen Bewegung in den USA und durch eine damals in den Staaten immense Offenheit für neue Wege in der psychotherapeutischen Behandlung von Menschen entstanden interessante Kooperationen zwischen Tänzerinnen, die auch Geldnöte hatten, und ärztlich-therapeutischen Teams in den Psychiatrien. Es verbanden sich die ersten Ansätze  der neuen kreativen Therapieform mit unterschiedlichen psychologischen Paradigmen – zunächst waren dies der erlebniszentrierte humanistische Ansatz und der biografisch orientierte analytische Ansatz. Dabei waren früh ein „Westküstenansatz“ und ein „Ostküstenansatz“ zu unterscheiden.

2.2 Elaine Siegels Ansatz und Etablierung am DITAT

Elaine V. Siegel war die erste Autorin, die auf der Basis der Arbeiten von Liljan Espenak und Marian Chace die Methodik einer psychoanalytischen Tanztherapie theoretisch stringent und als eigenen Ansatz der Behandlung konzipierte. Sie arbeitete über 30 Jahre lang mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, sowohl in klinischen, als auch in ambulanten Settings. Sie war ebenfalls ausgebildete Psychoanalytikerin und aktives Mitglied des amerikanischen psychoanalytischen Dachverbandes APA sowie der ADTA, der sich 1966 gründete und in dem sich VertreterInnen der verschiedenen tanztherapeutischen Ansätze zusammenschlossen. Dort etablierten sich übergeordnete Ausbildungsstandards und offizielle Abschlüsse als DTR und ADTR. In Kliniken, in der privaten Praxis, in physiotherapeutischen und beraterischen Kontexten wurde nun die Tanztherapie angeboten und allmählich differenziertund weiter konzipiert. Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kamen vereinzelt Ausländerinnen, vor allem aus England, Israel und Deutschland in die USA und lernten dort die Tanztherapie kennen. Sie brachten sie sozusagen „ wieder im Gepäck mit zurück“, um sie in ihrem Ursprungsland, Deutschland, aufs Neue  Der Siegel’sche Ansatz wurde am Deutschen Institut für tiefenpsychologische Tanztherapie und Ausdruckstherapie zusammen mit Elaine Siegel von Sabine Trautmann-Voigt und Bernd Voigt als ABT konzipiert und auf das deutsche Gesundheitssystem zugeschnitten. Es findet im Rahmen der KBAP und KBAV seine spezielle Anwendung. Wichtige begründende Publikation zur ABT erschienen 1999 im Reinhardt –Verlag und 2020 bei Schattauer.

Inzwischen gibt es auch in Deutschland viele Anwendungsfelder in diversen klinischen, ambulanten, beraterischen, pädagogisch-therapeutischen, sonderpädagogischen und rehabilitativem Settings. Eine differenzierte tanztherapeutische Praxis ist durch zahlreiche Fachpublikationen beschrieben worden. Eine umfassende empirisch- wissenschaftliche Fundierung bleibt aber nach wie vor, besonders mangels Interesse der etablierten LehrstuhlinhaberInnen aus Medizin und Psychologie, zukünftigen Initiativen vorbehalten. Der BTD bemüht sich erfolgreich um einheitliche Standards der Ausbildung und Vernetzung mit TanztherapeutInnen im In- und Ausland.

 

2.3  Philosophie der Tanz- und Ausdrucktherapie am DITAT

Eine ganzheitliche Auffassung vom Menschen ist die Grundlage für unsere Arbeit. Bewegen, Denken, Fühlen, Handeln, Sprechen und Denken bilden eine Einheit. In der gestischen, mimischen oder ganzkörperlichen Ausdrucksweise können sich Anteile innerer Bewegtheit zeigen. Ebenso können Bilder, Worte oder Tänze Aspekte unseres emotionalen Erlebens transportieren, ohne dass es dafür direkte Erklärungen und rationale Einordnungen benötigt. Alle Kreativtherapien, neben der Tanztherapie auch die Musik-, Kunst- und Dramatherapie nutzen den kreativen Selbstausdruck mit dem Ziel, zu einer physischen und psychischen Integration des Menschen beizutragen. Sprache wird natürlich zur kognitiven Einordnung des Erlebens wichtig, aber ebenfalls als kreatives Medium verstanden und in der Tanz- und Ausdruckstherapie nutzbar gemacht. Nonverbale sowie verbale Aspekte werden in therapeutischen Interaktionen verknüpft – das ist die Essenz des künstlerischen Prozesses in der Tanz- und Ausdruckstherapie. Das Ausbildungsangebot enthält tiefenpsychologische und entwicklungsorientierte, kreativitätsorientiert-künstlerische und auch pädagogisch- therapeutische Aspekte. Ein Ausgangspunkt für die Theoriebildung und Methodik ist die Annahme, dass in unserem Bewegungs- und Ausdrucksrepertoire im Hier und Jetzt auch alte Beziehungsmuster eingeschmolzen sind, Bewegungsmuster sozusagen, die wir in bewegten Dialogen, sogenannten Handlungsdialogen in der therapeutischen Situationen wiederbeleben können. Die tiefenpsychologische Fundierung bezieht sich auf die psychoanalytische Annahme, dass in jedem Menschen ein dynamisch wirkendes Unbewusstes enthalten ist. Seelische Verletzungen und Enttäuschungen sowie glückliche und befriedigende Momente aus unserem Leben sind dementsprechend in unser gesamtes Ausdrucksinventar eingegangen. So entwickeln sich in tanz-, bewegungs- und ausdruckstherapeutischen Settings einfache oder komplexe Handlungsdialoge, in denen manchmal der Sinn von Lebenshandlungen verborgen ist. Der Tanz wird dann zum Symbol, er enthält Bedeutungen und Geschichten. Gelingt es dem Menschen, sich seines Ausdrucksrepertoires in der Bewegung, im Bild oder durch Sprache gewahr zu werden, so können dadurch oft auch „vergessene Gefühle“ auftauchen, werden und in ihrer unbewussten Bedeutung verstanden und können verarbeitet werden.

2.4. Fünf Faktoren für die Arbeit mit Körper, Tanz, Bewegung

  • Freisetzung und Wahrnehmung von Gefühlen und deren Manifestation in Bewegung und Ausdruck
  • Stimulation der nonverbalen Kommunikation und deren Reflexion und/oder Aufarbeitung im verbalen und/oder nonverbalen Austausch
  • Spüren von Lebensfreude und Energie in ganzheitlicher rhythmischer Bewegung
  • Förderung des persönlichen Wachstums und psychische Reorganisation durch ein akzeptantes und klar definiertes therapeutisches Setting
  • Strukturierung des Bewegungsausdrucks und Stabilisierung von eigenen Ressourcen durch Körper orientiertes Üben

 

2.5. Einsatzbereiche von Tanz-, Bewegungs- und Ausdruckstherapie

  • Zur Prophylaxe, d.h. als präventive Maßnahme zur Stabilisierung der Persönlichkeit und zur Vermeidung eines Abbaus oder einer Störung des gesunden Potentials
  • Zur Erhöhung vorhandenen Potentials, ebenfalls im Sinne stabilisierender Maßnahmen
  • Zur Restitution, d. h. zur Behebung oder Verbesserung von Störungen und Defiziten
  • Zur Entwicklung, d.h. zur Entfaltung und Förderung vorhandener Fähigkeiten und der Gesamtpersönlichkeit
  • Zur Unterstützung, d.h. als supportive Maßnahme und Hilfe beim Umgang mit irreversiblen Störungen und Schädigungen. Zur Repräsentation, d.h. im Sinne der Vertretung und Sicherung von kritisch- emanzipatorischen Ansprüchen und Entwicklungen im gesellschaftlichen Kontext und im Sinne einer sich entwickelnden Gesundheitspolitik
  • Zur Aktivierung von Ressourcen, d.h. Im Rahmen auch eines Trauma orientierten Therapiesettings zur Stabilisierung

 

2.6. Grundlagen der Arbeit mit Tanz, Bewegung und Körper

  • Improvisatorischer und gestaltender Umgang mit Tanz/Bewegung als Hauptmedium sowie mit Musik und Malen als kreativen Wahrnehmungs- und Ausdrucksmöglichkeiten des Menschen
  • Einsatz von Sprache zur Aufarbeitung des „bewegten Materials“, Bewegungsbeobachtung, Bewegungsanalyse und Interaktionsanalyse, basierend auf den Arbeiten von Laban, Bartenieff, Kestenberg, Shahar-Levy, Trautmann-Voigt&Voigt
  • Leiblich- integrative und entwicklungsbezogene Sichtweise, die alle Lebensräume und die Besonderheiten der Lebensspanne umfasst.